Russische Geige

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Bernkopf
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Russische Geige

Beitrag von Bernkopf »

Hallo zusammen,
vor ein paar Tagen habe ich eine Geige besonderer Bauart in die Hände bekommen, über die ich gern etwas mehr wüßte. Sie hat stark abgerundete Kanten und Ecken, folgt jedoch den Abmessungen und in der Form der Violine. Die Zargen sind nach außen gewölbt, die Schnecke überall abgerundet. Innen befindet sich ein Zettel "Niccolo Amati cremonensis facibat anno 1634" auf dem Boden steht mit Bleistift "Göthe". Es handelt sich wohl um eine so genannte russische Geige aus Markneukirchen. Mich interessiert nun, ob man die Herstellungszeit feststellen kann und zu welchem Zweck diese etwas ungewöhnlichen Geigen gebaut wurden. Woher kommt die Form?

Gruß,
Bernkopf

Udo Kretzschmann
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Re: Russische Geige

Beitrag von Udo Kretzschmann »

Servus,

wäre es möglich, ein paar Bilder des Instrumentes hochzuladen? Eine Detailaufnahme der beschriebenen "Kanten und Ecken" sowie der konvexen Zargen und der Schnecke wäre nicht schlecht.

Eine "Russische Geige" - zumindest für mein Verständnis - kommt nicht in Frage. Ich kenne Russische Geige als Bezeichnung für eine Nagelgeige.

Mit freundlichen Grüßen

Udo

Heidrun Eichler
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Re: Russische Geige

Beitrag von Heidrun Eichler »

Lieber Udo, lieber "Bernkopf",

solche Geigen bezeichnet man schon als Russisische Geigen. Nagelfideln sind Nagelfideln - beide hängen bei uns in der gleichen Vitrine (könnte es sein, dass Du sie deshalb verwechselst, Udo?), sozusagen als Sonderformen. Warum die Russische Geige so heißt, weiß ich allerdings auch nicht :aggressive:, aber sie hat "runde Ecken" (hat aber bestimmt nichts mit der Stasi zu tun) und auch nach außen gewölbte Zargen.

Müssen wir mal noch etwas in der Literatur nachschauen bei Gelegenheit.

Schönen Abend,
Heidrun

Udo Kretzschmann
Geigenbaumeister
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Re: Russische Geige

Beitrag von Udo Kretzschmann »

Hallo Heidrun,

das hat mir doch keine Ruhe gelassen, es hat mich neugierig gemacht und ich habe ein wenig recherchiert.

Schon in dem Werk "Oekonomische Encyklopädie" von Dr. J. G. Krünitz aus dem Jahre 1773 steht:
Nagelgeige, russische Geige, ein musikalisches Instrument, in Gestalt eines halbrunden Bretes, in welches Nägel oder eiserne Stifte eingeschlagen sind, ...

und auch im "Brockhaus Conversations-Lexikon" von 1809 findet man:
Die Nagelgeige, (Violino di Ferro - auch die Russische Geige, vermuthlich, weil sie von hieraus zuerst bekannt wurde, genannt) ist ein musikalisches Instrument, das aus einem halbrunden, in Gestalt eines Hufeisens ausgeschnittenen Brete, etwa 1½ Fuß lang und einen Fuß breit, besteht, auf welchem eine Anzahl eiserner Stifte...

In "Kleineres Conversations-Lexikon oder Hülfswörterbuch" von Gerhard Fleischer, Leipzig 1814
Die Nagelgeige (ital. Violino di Ferro), auch Russische Geige, ist ein musikalisches Instrument (erfunden von dem Kammermusicus Wilde zu Petersdurg), bestehend aus einem halbrunden in Gestalt eines Hufeisens ausgeschnittenen Brete,...

Später hat man wohl zur Unterscheidung von einer "wirklichen" Geige den Namen abgewandelt, so schreibt Curt Sachs in seinem Standardwerk "Handbuch der Musikinstrumentenkunde" als Synonyme für die Nagelgeige u.a. Nagelspiel, Stiftharmonika, Amerikanische Violine und Russische Stahlfiedel.

Den Begriff "Russische Geige" mit der Nagelgeige in Verbindung zu bringen war also nicht völlig falsch.

Umgekehrt interessiert mich, wo Du, liebe Heidrun, die Bezeichnung für die randlosen Instrumente mit nach außen gewölbten Zargen gefunden hast. In allen lexikalischen Werken bis hin zu MGG und Grove, in denen ich danach gesucht habe, konnte ich "Russische Geige" nicht direkt als Name finden.

Aber in Ausstellungsverzeichnissen, so bei einer Violine (Nr. 892) der Sammlung Heyer mit nach außen gewölbten Zargen steht "sogenannte russische Geige". Und die Geige MS-237 des Händelhauses mit ebenfalls nach außen gewölbten Zargen wird zwar als "vermutlich russische Arbeit" bezeichnet, direkt "Russische Geige" heißt es aber dort auch nicht im Text. Allerdings wird in unserem Museum diese Bezeichnung gebraucht. Weißt Du warum?

Mit freundlichen Grüßen

Udo

Heidrun Eichler
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Re: Russische Geige

Beitrag von Heidrun Eichler »

Hallo Udo,

es hätte mir auch ein Zitat gereicht, um Dir zu glauben, dass die Nagelfidel so genannt wird. Aber ich wusste es nicht. Was sagt uns das? Man lernt nie aus! :rolleyes:
Schau mal in unsere Datenbank. Da steht eine Russische Geige und die hängt unter dieser Bezeichnung in der Vitrine. Wenn mich nicht alles täuscht, hat der alte Pfretzschner (Wolfgang) solche Instrumente auch als Semmelgeigen bezeichnet und mir mal erzählt, dass Zigeuner solche Geigen bei ihm gekauft haben. Aber das ist jetzt alles sehr vage und klärt auch nicht die Frage, warum man die Geige mit gewölbter Zarge "Russische Geige" nennt.

Vielleicht kann uns Hannes helfen?

Schöne Grüße
Heidrun

P.S. Ich warte eigentlich schon lange auf Deine Antwort zur vorhergehenden Frage (MUSIMA). :boxing:

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