Industriealisierung des Musikinstrumentenbau im Vogtl.

Fragen zu Tasteninstrumenten, Schlagwerk, Mechanische Spielwerke u..
Händler und Handelsfirmen

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otto.thoss
Beiträge: 1
Registriert: Do 02. Feb 2006, 15:15

Industriealisierung des Musikinstrumentenbau im Vogtl.

Beitrag von otto.thoss »

Inwiefern hat sich eine Industriealisierung im Musikinstrumentenbau im Vogtland vollzogen, bzw. inwiefern wird davon wieder zurück auf Handarbeit gegangen? Und kann man Qualitative Unterschiede feststellen?
Ich würde mich sehr über Antworten freuen.
Vielen dank im Vorraus. Der Otto!

Heidrun Eichler
Museumsmitarbeiter
Beiträge: 1226
Registriert: Do 22. Dez 2005, 13:58
Wohnort: Markneukirchen

Beitrag von Heidrun Eichler »

Diese Frage ist nicht mit 3 Sätzen zu beantworten. Das ist ja fast ein Dissertationthema.
Fangen wir mal ganz von vorn an und bleiben beim Geigenbau:
Die Arbeitsteilung hat im Vogtland schon um 1710 begonnen und war um 1850 abgeschlossen. Ein Grund für die frühzeitige Arbeitsteilung ist u.a.in der frühen Teilung von Handel und Herstellung zu sehen. Der Händler forderte vom Hersteller schnelles und gutes Arbeiten. Sehr bald spezialisierten sich die Geigenbauer deshalb und hatten ihre Zulieferer für z.B. Wirbel, Kinnhalter, ja sogar für die sogenannten Schachteln (Korpusse), die sie u.a. aus Schönbach (heute Luby) bezogen. Das war zwar noch keine Industrialisierung im engeren Sinne, aber sicher der Anfang davon.

Ob die Qualität darunter gelitten hat....? Ich glaube eher nicht, da ja jeder Zulieferer auch Qualitätsware liefern musste, um sie verkaufen zu können.

Die eigentliche Industrialisierung im Geigenbau fand dann Anfang des 20. Jahrhunderts in Markneukirchen mit der Gründung der Geigenfabrik statt (die sehr bald wieder pleiteging) und wurde zu DDR-Zeiten in der MUSIMA fortgesetzt. Dort wurden Geigen, z.T. maschinell,, mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis gebaut. Also Geigen, die ein Schüler oder Hobbyspieler gut verwenden konnte. Sie weisen sicher nicht die Qualität auf wie eine in Handarbeit gefertigte.

Das heutige Problem ist, dass auf Grund von Energie-, Lohnkosten etc. Geigen und Gitarren industriell nicht mehr zu so einem niedrigen Preis gebaut werden können, dass man mit der fernöstlichen Konkurrenz mithalten kann. Deshalb hat man heute bessere Chancen, wenn man qualitativ hochwertige Instrumente in Handarbeit herstellt, wobei man auch da z.T. auf maschinell vorgefertigte Teile (Schnecken, Böden) zurückgreift.

Für Markneukirchen ist beides typisch: die industrielle Fertigung und die Handarbeit, wobei letztere zumindest im Geigenbau heute wieder dominierend ist.

Udo Kretzschmann
Geigenbaumeister
Beiträge: 554
Registriert: Do 02. Feb 2006, 11:16
Wohnort: Markneukirchen
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Beitrag von Udo Kretzschmann »

Hallo Otto,

das ist wirklich eine Frage, die man hier nicht umfassend beantworten kann. Und wenn Du Dich ausführlicher damit beschäftigen möchtest, so empfehle ich die beiden Bände "Vogtländischer Geigenbau" von Dr. Bernhard Zoebisch.

Was Heidrun Eichler schreibt, kann ich im großen und ganzen nur bejahen, jedoch zu dem Punkt
Heidrun Eichler hat geschrieben:Ob die Qualität darunter gelitten hat....? Ich glaube eher nicht,
möchte ich gern meine Meinung anfügen.

In dem holländischen Roman "Verstreken jaren" (verstrichene Jahre) von Kees van Hage, in dem der abenteuerliche Weg einer Violine aus Markneukirchen durch die Zeitläufte beschrieben wird, ist von einer ersten Krise des Markneukirchner Geigenbaus in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts die Rede. Grund dafür war die zunehmende Arbeitsteilung, das Drücken der Preise durch die Händler und, wie es Zoebisch schreibt: "... Bestandteile .. werden von Leuten zusammengesetzt, die manchmal noch nicht einmal den Geigenbau ordentlich gelernt haben."

Nach den oft wunderschönen Instrumenten des 18. Jahrhunderts, die nicht nur im nachhinein sondern leider auch häufig von den Markneukirchner Meistern selbst als gefertigt "in Italia, in Cremona, in Absam, in Tirol" etc. auf den Zetteln gekennzeichnet wurden, sprechen viele viele Instrumente, die nach 1800 hergestellt wurden, bis heute eine beredte Sprache, wie schnell sie gefertigt werden mußten. Ich habe kein Quellenstudium betrieben, aber ich glaube den akribisch recherchierten Ausführungen van Hages, daß es zu dieser Zeit auch ernste Absatzprobleme gab, sicher aufgrund der abnehmenden Qualität der so hergestellten Instrumente.

Aber, und da gehe ich wieder völlig konform mit Heidrun Eicher, es gab zu allen Zeiten hier in Markneukirchen hervorragende Meister, die meisten eher ruhig und bescheiden, ihrem Vogtländischen Naturell gehorchend, ohne groß auf die Pauke zu hauen. Und willst Du etwas zur Qualität der Instrumente hören, so mußt Du am besten die Musiker rund um den Globus fragen, die Markneukirchner Instrumente spielen, alte wie neue. Oder Du machst Dich selbst auf den Weg in die Werkstätten.

Gruß

Udo

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