In eigener Sache

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Heidrun Eichler
Museumsmitarbeiter
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In eigener Sache

Beitrag von Heidrun Eichler »

Ohne Ehren-, Nebenamt und Freiwillige wird es bald drastische Einschnitte in den Museen geben.
Was denken sich die Beamten und Politiker in den übergeordneten Gremien eigentlich, wenn sie vorschlagen, bei den Allerletzten in der Gesellschaft den Rotstift anzusetzen? Bürgermeister bekommen auf die Frage, wie sie mit den Finanzen auskommen sollen, ohne nachzudenken die lapidare Antwort: „Trennen Sie sich von den freiwilligen Aufgaben, schließen Sie die Museen und Bibliotheken.“
Mit den geplanten Einsparungen beim erst vor wenigen Jahren ins Leben gerufenen Ehrenamt „Wir für Sachsen“ und der Stellenstreichung beim Freiwilligen Sozialen Jahr werden nicht nur die Museen ihre Öffnungszeiten drastisch kürzen und manche sogar schließen müssen. Das Ehrenamt ist ja erfunden worden, um die personell ohnehin schlecht ausgestatteten Einrichtungen zu erhalten. Das scheint man vergessen zu haben. Wenn man jetzt die paar Euro streicht, die dazu dienen, am Wochenende die Besucher durch die Ausstellungen zu führen und den Garten in Ordnung zu halten, dann kürzt man genau da, wo mit dem geringsten finanziellen Aufwand der größte Nutzen erzielt wird. Hausmeister? Fehlanzeige!
Vor Jahren gab es noch ABM-Kräfte, die den ganzen Sommer mit Gartenpflege beschäftigt waren und im Winter Schnee schippten. Heute erledigen das die wenigen Angestellten vom Bauhof oder eben nicht, weil sie es nicht schaffen. Also sucht und findet man Menschen, denen es ein Graus ist, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen und die für 3-5 Euro/Stunde bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen oder am Wochenende Besucher zu führen. Ein Jugendlicher, der ein Jahr in einer kulturellen Einrichtung vor der Lehre oder dem Studium verbringt, ist voll im Tagesablauf integriert. Er leistet wertvolle Arbeit für 280 Euro im Monat.

Wer will, kann gern einmal bei uns hospitieren, um mitzubekommen, welche Aufgaben ein Museum hat und mit welch geringen Mitteln, welche Ergebnisse erzielt werden.

HE
19.02.2010

Heidrun Eichler
Museumsmitarbeiter
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Re: In eigener Sache

Beitrag von Heidrun Eichler »

Habe soeben erfahren, dass unsere Kollegin, die über ein EU-Projekt für 2 Jahre bei uns beschäftigt werden sollte, ab April wieder zu Hause bleiben muss. Die Beschäftigungsgesellschaft, über die die Maßnahme läuft, musste Insolvenz anmelden. Worin die Ursache der Pleite zu suchen ist, weiß ich nicht. Über die Gesellschaft laufen mehrere Projekte. Ich weiß aber, dass die Maßnahme, die unsere Kollegin hat, 100%ig über die EU gefördert wird. Die SAB und das Arbeitsamt haben sich aber heute darauf geeinigt, diese nicht weiterzuführen. Ich begreife das nicht und die Geschäftsführerin, die sich seit Jahren sehr ins Zeug legt und vielen (einige Poltiker würden sie Faulenzer nennen) Leuten wieder eine Perspektive durch die Arbeit geben konnte, ist am Boden zerstört und kann mir das Verfahren auch nicht plausibel erklären.
Wer kennt sich in solchen Dingen aus und kann uns das wenigstens erklären? Es geht hier doch nur um die Verwaltung und Auszahlung der Mittel. Das müsste doch auch übertragbar sein?

Nur mal so nebenbei: Wer bei uns einen 1- Euro-Job, ABM oder ähnliches gemacht hat, hat mitunter danach sogar wieder einen Platz im 1. Arbeitsmarkt gefunden, konnte aber auf alle Fälle auch danach oft bei uns neben- oder ehrenamtlich tätig sein und war glücklich, wenigstens wieder einen Anlaufpunkt zu haben, um Kollegen zu treffen. Wie unser Museum davon profitiert, habe ich oben schon beschrieben.


Heidrun

Heidrun Eichler
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Re: In eigener Sache

Beitrag von Heidrun Eichler »

Die Geschichte geht weiter.
Unsere Kollegin haben wir nach einem Monat Pause wiederbekommen. Allerdings wird sie ihr Märzgehalt wohl nie erhalten. Das hat die Insolvenz verschluckt. Aber wir und sie sind glücklich, dass man eine Lösung gefunden hat und sie nun die restlichen 11 Monate bei uns weiterarbeiten darf.

Dann haben wir 2 Leute über Tauris beschäftigen wollen, aber dieser Antrag liegt seit 8 Wochen auf einem Schreibtisch und rührt sich nicht. Tauris= 14 h/Woche für 78 Euro/Monat, geht nur für Hartz IV-Empfänger.
Da sich hier nichts tut, läuft jetzt noch ein Antrag für die beiden, der hoffentlich durchkommt, sodass wir sie dann ab September für 6 Monate beschäftigen können.
Die Saison ist zwar schon weit fortgeschritten, aber Arbeit gibt es auch dann genug.

Wie es mit dem Freien Sozialen Jahr weitergeht, werden wir sehen. Es ist diese Woche eine große Protestaktion in Dresden geplant und daraus schließe ich, dass die Gelder noch nicht bewilligt sind.

Und so ist man halt immer mit Dingen beschäftigt, die von der eigentlichen Arbeit abhalten.
Manchmal denke ich, es wäre besser, man würde auf all diese Arbeitsbeschaffungen verzichten, aber wir wissen, dass es für die Menschen, die gern arbeiten wollen, die einzige Möglichkeit ist, noch etwas Sinnvolles zu tun und dem Haus und den Besuchern kommt es natürlich auch zugute.

Also, machen wir weiter so,

Heidrun

RoBass
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Re: In eigener Sache

Beitrag von RoBass »

Da ich selbst 4 Jahre lang mit ABM/SAM beschäftigt war (als AG, icht als AN), sind mir die probleme und leider auch die oft mißverstandenen Begriffe "Ehrenamt" und "Förderung" gut bekannt. es ist leider ein zweiter Arbeitsmarkt entstanden, der sich davon ernährt, Gelder der öffentlichen Hand und von Stiftungen so lange zu verwalten, bis sie in der Verwaltung selbst aufgebraucht sind. Hin und wieder sind dann mal Zäsuren wie die Abschaffung der ABM um 2000 herum nötig, damit die Menschen zur Besinnung kommen.
Museen etc. sind keine rein staatliche Aufgabe. und so sollten wir alle sie auch sehen. Wer Kultur haben will, der muß sie entweder bezahlen (z.B. mit auskömmlichen Eintrittsgeldern von 10,- und mehr) oder aber dafür selbst mit anpacken.
Ich denke, die Rufe nach Alimentierung aus dem Staatsetat sind der falsche Weg auf Dauer. Stattdessen muß das Engagement der Konsumenten und Angestellten wieder gestärkt und auch gefordert werden.

Wie gesagt, ich habe 4 Jahre lang größere Projekte betreut, von denen mehr als die Hälfte mehr als überflüssig war und letztendlich auch nicht zur Weiterbeschäftigung geführt hat. Der Teufelskreis ist, daß je mehr Förderung man bekommt, umso weniger Antrieb besteht, die Finanzierung solide und autark aufzustellen. Manche Träger wurden imer dicker und dicker - und der Markt mit geparkten Arbeitslosen ohne Perspektive und Motivation zugestopft.
Das soll kein Affront gegen die geäußerte Problematik sein, die ist zweifelsohne belastend und auch kontraproduktiv (insbesondere Themen wie das "versickerte" Gehalt der Kollegin). Nur die Eigeninitiative des Stelleninhabers, die muß auch mehr als nur ein Angestelltsein umfassen. Es gibt eine Menge Wege abseits der Vollalimentierung...

Insofern drück ich die Daumen, daß die Gemeinde und alle weiteren Träger sich zunächst mal besinnen und das Museum als das ansehen, was es sein sollte - ein kultureller Gegenpol zur örtlichen Freiwilligen Feuerwehr und Disco ;-) Dazu gehört natürlich dann auch Engagement - finanziell und persönlich.

motivierenden Gruß
Roman

Heidrun Eichler
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Re: In eigener Sache

Beitrag von Heidrun Eichler »

Hallo Roman,

kennst Du unser Museum?

Ich frage das, weil mir Folgendes aufstößt:
RoBass hat geschrieben:Museen etc. sind keine rein staatliche Aufgabe. und so sollten wir alle sie auch sehen. Wer Kultur haben will, der muß sie entweder bezahlen (z.B. mit auskömmlichen Eintrittsgeldern von 10,- und mehr) oder aber dafür selbst mit anpacken.
Ich denke, die Rufe nach Alimentierung aus dem Staatsetat sind der falsche Weg auf Dauer. Stattdessen muß das Engagement der Konsumenten und Angestellten wieder gestärkt und auch gefordert werden.
,

Es gibt eine ICOM-Definition, die genau festlegt, was ein Museum ist und welche Aufgaben es zu erfüllen hat.
RoBass hat geschrieben:alle weiteren Träger sich zunächst mal besinnen und das Museum als das ansehen, was es sein sollte - ein kultureller Gegenpol zur örtlichen Freiwilligen Feuerwehr und Disco
Ein Museum ist eben weit mehr als ein kleiner kultureller Tempel, der mit etwas Eigeninitiative von ein paar "Verrückten" erhalten werden sollte.
Es stimmt auch nicht (zumindest nicht in Sachsen), dass Kultur und speziell Museen freiwillige Aufgaben sind, deshalb gibt es ja bei uns auch das Kulturraumgesetz, das regional bedeutsame Einrichtungen finanziell unterstützt (nach welchen Kriterien ist wieder eine andere Frage).

Und absolut stört mich der Satz:
RoBass hat geschrieben:Nur die Eigeninitiative des Stelleninhabers, die muß auch mehr als nur ein Angestelltsein umfassen.
Ich habe aber keine Lust mich oder meine Kollegen zu rechtfertigen. Es gibt immer solche und solche, aber gerade im Kulturbereich geht es schon immer (schon in der DDR) nur, wenn man (für ein weitaus geringeres Gehalt als in anderen staatlichen Stellen-da es ja keine festgelegten Eingruppierungen gibt) viel Initiative zeigt, sowohl hinsichtlich Zeit als auch Flexibilität. Wir machen (fast) alles möglich, aber gefährlich wird es, wenn die Zahl der nebenamtlichen Mitarbeiter die der hauptamtlichen beträchtlich übersteigt und man nicht mehr in der Lage ist, die eigentlichen Aufgaben zu erfüllen, weil man ständig jemanden einarbeiten muss, der eigentlich dafür nicht qualifiziert ist und wenn er gut ist und es schafft, nach 6 Monaten wieder weg ist. Hier geht es um Pflichtaufgaben eines Museums, nicht um ehrenamtliches Tingeltangel !!

Ehrenamtlich sind wir alle außerdem noch tätig, in Orchestern, im Museumsverein (ohne den gäbe es keine Veranstaltung, keine Publikation und auch kein Forum), Musikschulverein usw.

Wir haben Sorge zu tragen für eine große Sammlung von 3.200 Instrumenten und ca. 800 weitere Exponate, haben eine ca. 3.000 Schriften umfassende Bibliothek zu betreuen, Öffnungszeiten von 42 Wochenstunden inkl. Führungen von Gruppen, Sonderausstellungen zu organisieren und aufzubauen, täglich bis zu 10 Anfragen zu beantworten (die wir zunehmend auf das Forum verweisen) usw. und alles mit z.Z. 3 festangestellten Leuten (außer mir noch 2 Kollegen), die alle eine verkürzte Arbeitszeit von 36 Wochenstunden haben. Auf Deutsch heißt das: einer von uns Dreien muss immer präsent sein, sonst kann das Museum nicht öffnen.

Das musste ich jetzt doch mal loswerden und ich hoffe, es klingt nicht nach Jammern, denn wir machen unsere Arbeit gern und mit Freude und sind dankbar, dass wir sie tun dürfen.

Heidrun

Mario Schmalfuß

Re: In eigener Sache

Beitrag von Mario Schmalfuß »

Museen sind sicher keine "rein" staatliche Aufgabe aber sie sind eine (staatliche). Museen sind m.E. ein fester Bestandteil von Bildung und Kultur und bei Eintrittsgeldern von 10 Talern aufwärts gibt es dann wieder die schöne elitäre Auslese, wobei da nicht gesagt ist ob sich jene für das eine oder andere überhaupt interessieren. Das wiederum hätte neben der sozialen Ausgrenzung noch eine kulturelle Ausdünnung zur Folge. Im übrigen trifft auf dieses Museum zu das es (wenn ich jetzt geschichtlich nicht voll daneben liege) sich nie voll selbst tragen sollte, denn es wurde von einem Gewerbeverein mit einem gewissen Bildungsauftrag gegründet ;-)

intune
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Re: In eigener Sache

Beitrag von intune »

@ du hast ja absolut recht Heidrun,

offenbar mutieren die begriffe bei unseren politikern in dieser form

kuhhltuuhhr
zu
cool tour! :rofl:

dem bürger kann man mit wortgewaltigen darstellungen alles aufbinden und erklären.

wenn wir einen bruchteil dessen ausgeben würden was wir zur bewältigung der jahre 33-45 aufwänden, wäre es um die museenlandschaft, hier das musikinstrumentenmuseum, besser
bestellt.
kuhhltuuhhr erkennt man offensichtlich erst dann, wenn sie von aussen gefordert wird.

alleine die (politiker)worte: wir müssen jetzt RICHTIG sparen, fordert in mir die frage, kann man auch RICHTIG lügen? :shout:

:goodn8:

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